Terrortour Rostock (Hansa-VfB) 16.11.02


'YNWA' ist ein Fanclub, für den das Wort Altruismus durchaus kein Fremdwort ist. Deshalb wurde das Auswärtsspiel in Rostock nicht nur besucht, um den gottgleichen VfB zu unterstützen, sondern auch um die dort lebende Spezies 'Homo arbeitslosus alkoholabusus' mit West-Devisen zu erfreuen und Licht in ihren grauen Lebensalltag zu bringen. Von dieser grenzenlosen Barmherzigkeit getrieben machten wir uns also am Wochenende vom 15. bis zum 17.11.02 in die ostdeutschen Ödlandschaften auf.

Da der von Klenky geplante Sonderzug aufgrund von mangelnder Resonanz nicht nach Rostock fuhr (und – schenkt man www.fanzug.de Glauben – auch nie wieder fahren wird), hatte Marcel einen 9er-VW-Bus angemietet. Neben Marcel und dessen Freundin Tanja durften sich noch Gerold, CJ, Paul, Ute, Jens, Alex und meine Wenigkeit in jenem Bus breitmachen.

Um rechtzeitig in die wüsten Einöden um Rostock zu gelangen, mußten wir uns gezwungenermaßen sehr früh am Morgen aufmachen. Die Abfahrt war deshalb schon vor 5.00 h; Treffpunkt war Pauls neue Behausung, in die unsere kleine Reisegruppe nach und nach eintrudelte. Die erste Invasion erfolgte mit mir, Gerold, CJ und Jens. Letztere drei hatten sich am Abend noch das Zweitligaspiel Mainz gegen Aachen angesehen, das trotz des für alle Holländer unerfreulichen Ergebnisses (3:1) von CJ nicht zum Anlaß genommen wurde, Gerold den Kopf abzubeißen. Bei Paul angekommen, wurde CJs Seelenpein weiter vermindert, da sich Paul als perfekter Gastgeber erwies und uns die Wartezeit zum frühen Morgen mit leckerem Beck's versüßte. Nach einigen Stunden bzw. einigen Fläschchen Gerstensaft traf gegen 4.30 h endlich unser Chauffeur Marcel ein, so daß die (Tor-)Tour nach Rostock losgehen konnte, nachdem der Bus noch flugs mit einer weiteren Palette Beck's beladen worden war.

Während der Hinfahrt gab es keine nennenswerten Vorkommnisse – abgesehen davon, daß ab dem späten Vormittag aufgrund von Jens' schwacher Blase auf jedem Parkplatz angehalten werden mußte. Je näher wir der Ostzone kamen, desto trüber wurde der Himmel, und spätestens nach dem Grenzübertritt in den Osten öffnete der Himmel seine Schleusen. Ab Lübeck an führte unser Weg zudem über schlaglochübersäumte Straßen, vorbei an verfallenen Gehöften und dunstigen Brachlanden. So taten wir also auch etwas für unsere Bildung, denn nur dieser – laut Routenplaner "schnellste" – Weg über Landstraßen ermöglichte uns einen Blick auf die kargen Flachlande des sterbenden Ostens.

Obwohl uns das Dahinkriechen über ostdeutsche Landstraßen, die eher die Bezeichnung 'Feldweg' verdienen, im Endeffekt wohl doch ein klein wenig Zeit gekostet hatte, kamen wir relativ frühzeitig in Rostock an. Nach Abstellen des Busses auf dem Parkplatz vor der Nordkurve ließ sich Marcel – möglicherweise schon mit Blick auf die Zeit nach Spielende – auf einen Schaltausch ein.

Weil es mittlerweile gegen 13.00 h war, wollten wir dem Wehklagen unserer Mägen nachgeben und machten uns auf die Suche nach etwas Eßbarem. Da VfB-Fans sich in der Öffentlichkeit zu benehmen wissen, griffen wir nicht nach dem erstbesten Rostocker Kleinkind, um es rülpsend in einer dunklen Nebenstraße zu verzehren, sondern befolgten den Rat von einigen Hansa-Fans und gingen in eine kleine Gaststätte in Stadionnähe. Das Essen dort war jedoch nur bedingt schmackhaft – das Schnitzel schmeckte beispielsweise wie eine gargekochte, doch leider ungewürzte Schuhsohle –, und die sonstigen anwesenden Gestalten trugen auch nicht unbedingt dazu bei, sich hier wohlzufühlen. Am Nachbartisch waren noch zwei Mitglieder der 'Neckarbrigaden', doch ansonsten war die Gaststätte verseucht von Hansa-Fans, denen man den langjährigen Alkoholmißbrauch an ihren gelben Gesichtern ansehen konnte und denen der Sabber auf den Boden tropfte. Da wir keine Lust auf deren nicht enden wollende Provokationen hatten, verließen wir das Lokal ziemlich bald, nachdem wir die ungewürzten Schuhsohlen verspeist hatten.

Unseren ersten Lichtblick des Tages hatten wir nach Betreten des Stadions, denn noch war der Gästeblock relativ leer und noch war genug Platz für unsere leicht überdimensionierte Zaunfahne. Erwartungsgemäß blieb es beim relativ leeren Block; nur etwa 150 Unentwegte hatten den weiten Weg nach Rostock auf sich genommen. Im Fanblock befand sich auch Günther Schäfer, der für die VfB-Homepage den Live-Ticker schrieb, aber dennoch genügend Zeit (und Geduld) hatte, mit zahlreichen VfB-Fans zu plaudern. Das Spiel selbst war eher mäßig, da Rostock nach der vorangegangenen Durstrecke von sieben sieglosen Spielen mangelnde spielerische Klasse mit übergroßer Härte wettmachen wollte. Für den VfB hatte die Begegnung äußerst unglücklich begonnen. Es waren gerade einmal vier Minuten gespielt, da durfte Ernst schon hinter sich greifen: Ein von Rydlewicz getretener Freistoß wurde für den VfB so unglücklich abgefälscht, daß Ernst keine Chance hatte. Die Stuttgarter versuchten in der Folgezeit jedoch das Spiel zu machen, und vielleicht wäre dies auch gelungen, wenn die Rostocker die VfB-Angriffsversuche nicht durch ständige Fouls unterbrochen hätten. Wieder einmal war es Hleb, der am meisten einstecken mußte und z.B. mit einem Ellbogencheck oder einem Tritt in die Weichteile niedergestreckt wurde. Aufgrund der ständigen Unterbrechungen hatte die Rostocker Defensive immer wieder Gelegenheit, sich neu zu formieren, so daß der verdiente Ausgleich bis zum Beginn der 2. Hälfte auf sich warten ließ. Maßgeblich daran beteiligt war der gerade eingewechselte Ganea, dessen Flanke von links der freistehende Kuranyi nur noch einzuschieben brauchte. Abgesehen von einer guten Rostocker Chance, die aber vom herausgelaufenen Ernst vereitelt wurde, plätscherte danach das Spiel vor sich hin, bis in der 60. Minute der ebenfalls in der 2. Hälfte gekommene Mutzel brutal von hinten abgegrätscht wurde. Der Übeltäter Salou sah dafür völlig zurecht die rote Karte, jedoch leider nicht alleine ... Dummerweise war es nach Salous Foul zur 'Rudelbildung' gekommen, und nachdem Meggle Meira mehrmals am Trikot gezupft hatte, schubste ihn Meira leicht von sich weg. Meggle fiel zwar nicht auf den Boden, aber stürzte sich doch theatralisch nach hinten, was Schiedsrichter Albrecht zum Anlaß nahm, auch Meira die rote Karte zu zeigen – eine Entscheidung, die vermutlich nicht nur bei den VfB-Fans mit Unverständnis aufgenommen wurde. Nach den beiden Platzverweisen mußte Soldo in der Defensive aushelfen; der VfB spielte nun leider kaum noch nach vorne, sondern überließ den Rostockern größtenteils das Mittelfeld. Stuttgart war jetzt v.a. mit Abwehraufgaben beschäftigt. Besser wurde es nach Einwechslung von Marques, da es dieser ausnahmsweise einmal schaffte, keinen gravierenden Fehler zu machen. Chancen gab es zwar noch auf beiden Seiten – meist jedoch durch Standardsituationen; in den seltensten Fällen waren sie herausgespielt. Im Endeffekt ging das 1:1-Unentschieden für beide Seiten in Ordnung: Stuttgart bleibt weiter oben mit dabei, und Rostock bewegt sich langsam in Richtung der Tabellengefilde, wo die Roten Teufel schon heulen und mit den Zähnen klappern.

Nach Spielende hatten wir ein erstes Problem beim Abmachen der Zaunfahne, da sie von irgendeinem subversiven Element an einer Stelle mit schätzungsweise 587 Knoten am Geländer festgemacht worden war. Überraschenderweise half uns ein Rostocker Ordner beim Aufknoten mit seinem Korkenzieher. Auch kurz danach taten die Rostocker Ordner viel, um einen unerwartet positiven Eindruck bei uns zu hinterlassen. Die meisten VfB-Fans waren in zwei Bussen gekommen und konnten unmittelbar vor dem Stadioneingang einsteigen. Dadurch vor dem Zugriff vor den Rostocker Schlägertrupps geschützt, pöbelten einige VfB-Fans (u.a. vom CC) in Richtung der Hansa-Fans, was – Gerüchten zufolge – dazu führte, daß sich der Rostocker Mob hinter dem Gästeausgang an der Eissporthalle sammelte, um vorbeigehenden VfB-Fans die Schädeldecke einzuschlagen. Glücklicherweise ließen sich die Ordner dazu erweichen, uns aus einem anderen Ausgang herauszulassen. Um sicher zum 9er-Bus zu kommen, versteckten wir zudem alle VfB-Utensilien. Damit der Selbstverleugnung noch nicht genug: Nachdem wir unseren Bus, der direkt vor der Rostocker Kurve geparkt war, erreicht hatten, legte Marcel den vor dem Spiel getauschten Hansa-Schal um und behielt diesen häßlichen Halsschmuck solange um, bis wir das Stadion weit hinter uns gelassen hatten.

Da ich dem Alkohol noch nicht so stark wie manch anderer zugesagt hatte, hatte ich das Vergnügen, trotz Übermüdung von Rostock nach Hamburg fahren zu dürfen, wo wir in einer Kneipe in St. Pauli in Pauls Geburtstag hineinfeiern wollten. Bis Hamburg ging noch alles gut; dann jedoch zeigte sich, daß mein automatisches Navigationssystem namens CJ völlig unbrauchbar war. Leider schafften wir es nicht einmal, die Hafenanlagen hinter uns zu lassen ... Daraufhin durfte Ute ihr Glück versuchen, doch ihr pöbelndes automatisches Navigationssystem erwies sich ebenfalls als nur bedingt brauchbar – was im übrigen kein Wunder ist, hatte dieses Navigationssystem doch fast schon 39 Jahre auf dem Buckel! Immerhin schaffte es Ute bis nach Altona, doch der Weg nach St. Pauli blieb uns trotz unserer immensen Bemühungen verschlossen. In unserer Verzweiflung hefteten wir uns sogar an ein Polizeiauto an – in der Hoffnung, dieses möge vielleicht zur Davidswache fahren. Nachdem uns aber selbst unsere 'Freunde und Helfer' im Stich gelassen hatten und Utes überaltertes Navigationssystem seine Schwächen allzu deutlich unter Beweis gestellt hatte, beschlossen wir, Hamburg links liegen zu lassen und fuhren weiter Richtung Bremen. Durch die Umstände dazu gezwungen, mußten wir auf Pauls Geburtstag nun also auf einer Autobahnraststätte anstoßen. Der unangenehme Nieselregen, der uns seit der Abfahrt in Rostock verfolgt hatte, verhinderte leider, daß wir aus dem Bus ausstiegen und die anderen Rastenden von Pauls Freudenfest wissen ließen.

Von der restlichen Fahrt bis nach Heimbach-Weis fehlt mir leider die Erinnerung, da sich schon kurz hinter Bremen der Schlaf meiner bemächtigt hatte. Ute war so leider dazu gezwungen, die ganze Strecke alleine zu fahren, da auch die meisten anderen Mitfahrer mit durchschnittlich (grob geschätzt) 37 Bieren nicht mehr fahrtüchtig waren. Bei Paul angekommen, verbrachten wir noch einige Zeit vor dem Fernseher bzw. im VfB-Talk, bevor wir uns gegen 6.00 h zum Schlafen legten. Das Einschlafen versüßte uns schließlich Alex mit gar lieblichen Schnarchgeräuschen, deren Intensität selbst Gerold im Koma nie wird erreichen können.

Am Sonntag brachen wir dann gegen Mittag in Richtung Heimat auf – in der Hoffnung auf Rostocks Abstieg, damit ein solch weiter Weg in die trüben ostdeutschen Wüstenlandschaften in Zukunft entfallen kann.

Wolfram